Hauptaussagen
- Es gibt viele mögliche Klimazukünfte, aber nicht alle sind auch plausibel. Klimazukünfte entstehen aus einer Kombination sozialer und physikalischer Dynamiken, und um ihre Plausibilität abzuschätzen, müssen daher Erkenntnisse aus mehreren Disziplinen berücksichtigt werden. Der erste Hamburg Climate Futures Outlook versucht erstmals systematisch zu bewerten, ob bestimmte Klimazukünfte plausibel sind. Als plausibel betrachten wir diejenigen, von denen wir erwarten, dass sie mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit eintreten – basierend auf den derzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Physik und Gesellschaftswissenschaften.
- In diesem Outlook kombinieren wir daher Bewertungen der physikalischen und sozialen Dynamiken. Dabei überprüfen wir zuerst, ob Szenarien mit sehr hohen oder sehr niedrigen CO2-Emissionen technisch-ökonomisch plausibel sind. In der Literatur über Klimaszenarien finden wir Belege, dass Szenarien mit sehr hohen Emissionen in sich widersprüchlich sind. So wäre das Ausmaß wirtschaftlicher Schäden enorm, gleichzeitig sinken die Kosten für saubere Energie und die Kohlereserven sind begrenzt. Die Literatur liefert außerdem Belege, die den großflächigen Einsatz von Technologien zur Kohlendioxid-Entfernung nicht plausibel erscheinen lassen. Diese Technologien sind jedoch gewöhnlich Voraussetzung für Szenarien mit sehr niedrigen Emissionen.
- Szenarien mit sehr geringen Emissionen erfordern zusätzlich eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis etwa zum Jahr 2050, wenn das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens erreicht werden soll. Viele bekannte technische oder wirtschaftliche Optionen würden dieses Ziel der Dekarbonisierung prinzipiell rechtzeitig möglich machen. Allerdings haben bisherige Analysen erst ansatzweise die Plausibilität der gesellschaftlichen Transformationen bewertet, welche für eine vollständige Dekarbonisierung notwendig wären. Eine solche Bewertung muss die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen definieren, unter denen die notwendigen Transformationen plausibel werden. Die vorhandenen empirischen Belege können dann mit diesem theoretischen Modell der Transformation abgeglichen werden.
- Wir schlagen daher ein „Social Plausibility Assessment Framework“ vor. Dieser Beurteilungsrahmen ermöglicht eine Analyse der Treiber von Dekarbonisierung, von begünstigenden oder hemmenden Rahmenbedingungen, sowie von Ressourcen und Strukturen, welche die künftige Entwicklung dieser Treiber beeinflussen könnten. Keiner der zehn untersuchten gesellschaftlichen Treiber zeigt eine ausreichende Dynamik, die auf eine vollständige Dekarbonisierung hinweist. Einige der Treiber – wie die Klimapolitik der Vereinten Nationen, transnationale Initiativen, klimabezogene Regulierung, Gerichtsverfahren zum Klimawandel, der Kapitalabzug aus fossilen Wirtschaftsbereichen (Divestment) und die Wissensproduktion – unterstützen zwar eine Dekarbonisierung, jedoch reicht ihre Dynamik nicht aus, um diese bis 2050 vollständig zu erreichen. Für zwei Treiber – Klimaproteste und soziale Bewegungen sowie den Journalismus – konnte nicht bewertet werden, ob diese eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 unterstützen oder ihr entgegenstehen. Zwei weitere Treiber – das Konsumverhalten sowie Unternehmensstrategien – stehen der Dekarbonisierung derzeit entgegen.
- Daher stellen wir fest: Es ist nicht plausibel, dass die Welt eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 erreicht – es sei denn, die Rahmenbedingungen der gesellschaftlichen Treiber erfahren in den kommenden Jahren einen radikalen Schub (siehe Abbildung 1). Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass der notwendige gesellschaftliche Wandel für eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 möglicherweise viel größer ist als viele annehmen – selbst wenn technisch-ökonomische Möglichkeiten zur Dekarbonisierung theoretisch verfügbar sind.
- Allerdings zeigen sechs der bewerteten gesellschaftlichen Treiber durchaus in Richtung Dekarbonisierung. Viele bieten außerdem Ressourcen, die gesellschaftliche Akteure nutzen können, um die Rahmenbedingungen zu verbessern, und damit eine Dekarbonisierung in der Zukunft plausibler zu machen. Gemäß unserer aktuellen Bewertung bleibt eine teilweise Dekarbonisierung bis 2050 daher plausibel.
- Die Erkenntnis, dass eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 derzeit nicht plausibel ist, stützt Belege, die generell die Plausibilität von Szenarien mit sehr niedrigen Emissionen für das gesamte 21. Jahrhundert anzweifeln. Kombiniert mit der kürzlich festgestellten, engeren Bandbreite der Klimasensitivität deutet dies darauf hin, dass eine Begrenzung der globalen Oberflächenerwärmung auf weniger als etwa 1,7 Grad bis 2100 derzeit nicht plausibel ist.
- Verknüpft man die neuen Erkenntnisse zur Klimasensitivität mit unserer technisch-ökonomischen Plausibilitätsbewertung, schränkt dies auch die Obergrenze der Erwärmung ein. Demnach ist eine Erwärmung der globalen Oberfläche um mehr als etwa 4,9 Grad bis 2100 aktuell ebenfalls nicht plausibel.
- Die vorliegende Bewertung plausibler Zukünfte fasst die derzeit verfügbaren Erkenntnisse zusammen. Die Fähigkeit der Gesellschaft zu handeln, kann allerdings auch dazu führen, dass vom Pfad abgewichen wird. Ob eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 plausibel wird, hängt wesentlich vom öffentlichen Druck durch Proteste, organisierte Aktionen und Gerichtsverfahren zum Klimawandel ab, so dass Regierungen rund um den Globus zu einer Politik verpflichtet werden, die den Wandel unterstützt – nicht nur durch Ankündigungen und Versprechen, sondern durch konsequentes Handeln. Darüber hinaus können die komplexen Zusammenhänge in sozialen Dynamiken zu unvorhergesehenen Störungen führen, und auch Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie können jederzeit eintreten. Sollten neue Erkenntnisse, einschließlich solcher aus unerwarteten Ereignissen, eine Anpassung unserer Bewertung erforderlich machen, wird dies in zukünftigen Ausgaben des Hamburg Climate Futures Outlooks berücksichtigt.