and Society (CLICCS)
Wer Bilder von der Arktis sieht, kann den Wandel nicht leugnen
2. September 2019, von Ute Kreis
Foto: K. Saint Pere
Aktuell werden mehrere Professuren in den Geowissenschaften neu besetzt – auch mit Mitteln aus der Exzellenzstrategie. Hier stellen wir die neuen Kolleginnen und Kollegen vor. Heute: Dirk Notz
Herr Notz, Sie sind Experte für die Kryosphäre mit dem Schwerpunkt Meereis. Worum geht es da und warum ist das wichtig für das Klima?
Alles Eis auf der Erde, also Eisschilde, Gletscher, aber auch Permafrostböden und Meereis bezeichnen wir in der Wissenschaft mit dem Sammelbegriff Kryosphäre. Mein Spezialgebiet ist das Meereis, das sich bei Minustemperaturen an der Wasseroberfläche bildet und in den Polargebieten große Teile des Ozeans bedeckt. Das ist interessant, weil das Meereis einer der wichtigsten Signalgeber ist, dass sich unser Klima verändert. In der Zeitung liest man dazu häufig von Minusrekorden. Wichtiger als das jährliche Minimum – das auch kurzfristig vom Wetter abhängt – ist aber die Tatsache, dass das Meereis seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen vor vierzig Jahren insgesamt sehr, sehr stark abgenommen hat. Das ist kein Wetter mehr, das ist ein längerfristiger Trend, also eine deutliche Klimaänderung.
Arktis und Antarktis, die Entdeckung dieser letzten blinden Flecken auf der Landkarte fasziniert ja viele. Wie sind Sie zu „Ihrem“ Thema gekommen?
Als Student der Meteorologie, übrigens in Hamburg, habe ich ein Jahr hoch im Norden auf Spitzbergen verbracht und später am dortigen University Centre Svalbard auch gelehrt. Aus dieser Zeit stammt meine Liebe zu dieser absolut einmaligen, wunderschönen Landschaft. Später war ich dann eine Zeit lang an der University of Washington in Seattle, und auch in meiner Doktorarbeit in Cambridge ging es um den Transport von Wärme und Salz im Meereis.
Hatten Sie bei Ihren Expeditionen auch „Eisbärkontakt“?
Ja, tatsächlich ist es bei unseren Forschungsfahrten in Svalbard auch meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass keiner der Studierenden von Eisbären angegriffen wird. Beim Arbeiten im Freien muss man dort immer ein Gewehr dabeihaben und vorab auch an einem Schießtraining teilnehmen. Zum Glück gab es bisher keine ernsthaften Zwischenfälle. Davon abgesehen ist die Meereisforschung aber auch in sich aufregend. Es ist ein vergleichsweise neues Forschungsfeld, das es in wirklich breiter Ausprägung erst seit den 70er Jahren gibt. Viele grundlegende Fragen sind noch unbeantwortet und wir betreten oft wissenschaftliches Neuland.
Allerdings könnte Ihr Forschungsgegenstand im Zuge des Klimawandels zumindest im Arktischen Sommer womöglich komplett verschwinden?
Ja, der Verlust an Meereises ist dramatisch und es gibt einen engen Zusammenhang zu der Menge an CO2, die wir Menschen in die in die Atmosphäre entlassen. Das lässt sich sogar hochrechnen: Um die noch vorhandene sommerliche Meereisdecke der Arktis zum Schmelzen zu bringen, sind nur rund 800 Milliarden Tonnen zusätzliches CO2 notwendig. Aktuell stoßen wir jährlich etwa 40 Milliarden Tonnen aus. Dazu kommen natürliche Schwankungen, sodass wir je nach unserem zukünftigen Handeln schon sehr, sehr bald einen im Sommer eisfreien Arktischen Ozean erleben könnten.
Was ist Ihr Beitrag im Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität?
Ich werde in einem Projekt mitarbeiten, in dem es um den Kohlenstoffkreislauf in der Arktis geht. Also nicht nur um CO2 in der Luft, sondern auch um die Mengen, die in einem wärmeren Klima beim Auftauen von Permafrostböden entstehen. Wohin geht das CO2, wohin die Wärme? Bisher wurde das Meereis wie eine Art Deckel betrachtet, durch den keine Treibhausgase in den Ozean hinein- oder hinausgelangen können. Nach neueren Experimenten in unserem Eislabor im Geomatikum, ist das Meereis aber womöglich durchlässiger als angenommen.
Bis vor kurzem haben Sie eine eigene Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Meteorologie geleitet. Mit der Professur steigen Sie nun auch dauerhaft in die Lehre ein. Was ändert sich?
Die Arbeit mit Studierenden hat mir schon immer Spaß gemacht – auch weil sich immer wieder ganz neue Fragen und Perspektiven ergeben. Theorie, Beobachtung und Klimamodellrechnungen – ich werde all das auch in der Lehre gezielt einsetzen. Geplant ist beispielsweise, das MOSAIC-Experiment zu verfolgen, bei dem das Forschungsschiff „Polarstern“ ein Jahr lang mit dem Meereis durch die Arktis driftet. Wir werden mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Daten austauschen, Experimente im Labor durchführen und ein passendes Rechenmodell entwickeln. Mir ist es wichtig, dass Studierende ein Gefühl dafür bekommen, wie Wissenschaft funktioniert und dass beides seine Bedeutung hat – Expeditionen und die Arbeit daheim am Rechner.
Tatsächlich wissen wir ja seit vielen Jahren, dass sich unser Klima ändert. Dennoch geschieht nur wenig und der CO2-Ausstoß steigt weiter. Ist das als Klimaforscher nicht frustrierend?
Ich versuche, kontinuierlich etwas zu bewegen. Die Kommunikation des Klimawandels und seiner Folgen ist mein Steckenpferd. Ich halte Vorträge, gebe Interviews, gehe in Schulen oder auch Unternehmen mit dem Thema. Das rasante Schmelzen ist hierbei leider sogar von Vorteil: Wer Bilder von der Arktis sieht – aktuelle und von der Situation vor 30 Jahren – kann den Wandel definitiv nicht leugnen.