and Society (CLICCS)
Klimaversprechen nicht einlösbarEin Luftschloss als Geschäftsmodell
24. Mai 2023, von CEN Redaktion
Foto: Pixabay/HesselWisser
Das Klima schützen und gleichzeitig Geld damit verdienen! Das verspricht das Unternehmen Sparkchange. Ein Artikel im Handelsblatt prangert nun ein zweifelhaftes Geschäftsmodell an. CEN Direktor Prof. Grischa Perino ist langjähriger Experte für den europäischen Emissionshandel und schätzt die Lage im Interview ein.
Wie funktioniert das Geschäftsmodell von Sparkchange?
Sparkchange kauft im Auftrag von Investoren Zertifikate aus dem EU-Emissionshandel und hält sie für mehrere Jahre. Nach einigen Jahren verkauft es sie wieder – in der Erwartung, dass der Verkaufspreis höher liegt und ihre Kunden Gewinne erzielen. Und es verspricht gleichzeitig, dadurch das Klima zu schützen. Konkret sollen Treibhausgase im Umfang von einer bis eineinhalb Tonnen pro Emissionszertifikat reduziert werden (PDF). Ein Zertifikat berechtigt Kohlekraftwerke und andere Industrieanlagen einmalig zum Ausstoß von einer Tonne CO2.
Sparkchange argumentiert mit der Marktstabilitätsreserve. Wie funktioniert diese?
Der Emissionshandel basiert auf einer politisch festgesetzten Obergrenze an Zertifikaten. Unternehmen, die emittieren möchten, müssen diese Zertifikate kaufen. Die Anzahl der ausgegebenen Zertifikate begrenzt damit effektiv die Menge der von den Unternehmen ausgestoßenen Treibhausgase. Der Markt entscheidet dabei nur, wer emittiert. Die Politik entscheidet, wie viel emittiert wird.
Die Marktstabilitätsreserve wurde 2015 beschlossen und 2019 eingeführt. Durch sie werden automatisch Zertifikate gelöscht, wenn insgesamt am Ende eines Jahres zu viele Zertifikate noch nicht genutzt wurden. Gemessen wird das jeweils am Ende eines Kalenderjahres anhand der Menge der nicht benötigten Zertifikate, die von den Marktteilnehmern von einem Jahr ins nächste mitgenommen werden. Die Idee dahinter: Der Emissionshandel kann so auf klimapolitische Maßnahmen der Mitgliedsstaaten und konjunkturelle Schwankungen reagieren. Bei einem Überschuss an Zertifikaten werden diese durch die Marktstabilitätsreserve wieder verknappt. Dadurch stabilisiert sich der Preis und die Klimawirkung bleibt erhalten.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Wenn in Deutschland ein Kohlekraftwerk abgeschaltet wird, liegen am Ende des Jahres mehr Zertifikate ungenutzt auf den Konten der Marktteilnehmer, als dies ohne Kohleausstieg der Fall gewesen wäre. Die Marktstabilitätsreserve löscht in Reaktion darauf Zertifikate. Erst dadurch kann der Kohleausstieg eine Klimawirkung entfalten. Bevor es die Marktstabilitätsreserve gab, hat das Kraftwerk zwar ebenfalls nichts mehr emittiert – aber die Zertifikate wurden stattdessen von anderen Kraftwerken genutzt. Die Gesamtemissionen haben sich dadurch nicht verringert.
Wie nutzt Sparkchange die Marktstabilitätsreserve für sein Geschäftsmodell?
Sparkchange argumentiert folgendermaßen: Wenn es Zertifikate kauft und ein paar Jahre hält, dann stehen sie dem Markt in dieser Zeit nicht zur Verfügung. Die von Sparkchange beworbene Klimawirkung basiert auf der Annahme, dass die Marktstabilitätsreserve für jedes gekaufte Emissionszertifikat langfristig ein bis eineinhalb Zertifikate zusätzlich löscht.
Und das stimmt nicht?
Genau. Das Unternehmen schreibt sich die automatischen Löschungen der Zertifikate als Klimagutschrift zu. Daraus berechnet es, wie viel Klimaschutz man angeblich mit ihrem Investment betreiben kann.
Es gibt jedoch ein Problem. Die Marktstabilitätsreserve löscht zwar Zertifikate abhängig von der Anzahl der ins nächste Jahr mitgenommenen Zertifikate. Das gilt auch für die von Sparkchange gehaltenen. Der Fehler in der Argumentation von Sparkchange ist jedoch, dass sie davon ausgehen, dass diese Löschungen nur entstehen, weil sie die Zertifikate gekauft haben. Sie argumentieren also, dass ihr Geschäftsmodell zu zusätzlichen Löschungen führt.
Es werden aber regelmäßig mehr als eine Milliarde Zertifikate von einem Jahr ins nächste mitgenommen. Wenn Sparkchange einige dieser Zertifikate kauft, dann wechseln diese nur den Besitzer. Es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass sich die Anzahl der insgesamt ins nächste Jahr übertragenen Zertifikate – und damit der Umfang der Löschungen – ändert.
Denn das Geschäftsmodel von Sparkchange beruht ja darauf, die Zertifikate nach ein paar Jahren wieder mit Gewinn zu verkaufen. Somit wissen alle Marktteilnehmer, dass sich die langfristig zur Verfügung stehende Menge nicht ändert – und somit auch nicht der Preis.
Ohne Preisänderung gibt es also keine Klimawirkung?
Der Preis ist das entscheidende Signal: Er bestimmt die Höhe der Emissionen all jener Anlagen, die dem Emissionshandel unterliegen. Liegt er hoch, steigt der Druck auf die Unternehmen, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Das Geschäftsmodell von Sparkchange hätte nur in zwei Fällen einen Einfluss auf den Preis und damit auf die Emissionen, aber beide sind sehr unwahrscheinlich. Wenn erstens allen Anlagen die Zertifikate ausgehen, bevor Sparkchange seine wieder verkauft. Oder zweitens die Marktteilnehmer sehr kurzsichtig sind. Wenn sie also den späteren Verkauf nicht vorhersehen, obwohl er ja explizit Teil des Geschäftsmodels ist. Sparkchange selbst beruft sich auch nicht auf einen dieser Fälle. Wie man es auch dreht und wendet, da wird kein Schuh draus.
Wir relevant ist Sparkchange überhaupt?
Laut seiner Webseite hat Sparkchange bisher insgesamt 140 Millionen US-Dollar an Investments erhalten und bis Anfang 2022 bereits 2,5 Millionen Zertifikate gekauft. Das ist eine Menge Geld und eine Menge CO2. Aber im Vergleich zur Gesamtmenge an Zertifikaten gering.
Gibt es noch andere Unternehmen, die ähnliche Versprechen machen?
Mir ist kein Unternehmen bekannt, dass ein ähnliches Geschäftsmodell betreibt. Es gibt jedoch einige Unternehmen und NGOs, die mithilfe des EU-Emissionshandels das Klima tatsächlich schützen. In Deutschland aktive Organisationen wie die CAP2 GmbH, Climate Concept Foundation, ForTomorrow gGmbH und Compensators e.V. kaufen Zertifikate, halten Sie mehrere Jahre und – hier der entscheidende Unterschied – löschen sie dann endgültig. Diese Organisationen habe ich wissenschaftlich beraten. Wie eine Studie zeigt, erzielen sie damit in etwa die Klimawirkung, die Sparkchange verspricht. Das investierte Geld ist dann aber natürlich weg, von möglichen Gewinnen ganz zu schweigen. Die Zertifikate werden am Ende ja vernichtet und nicht verkauft.
Warum nutzen Unternehmen überhaupt Dienstleister wie Sparkchange?
Im Prinzip kann jeder Zertifikate kaufen. Allerdings werden sie in der Regel in Tausender-Paketen gehandelt. Ein Zertifikat kostet derzeit knapp 90 Euro, man müsste also 90.000 Euro ausgeben, um eine Einheit zu kaufen. Davon abgesehen: Unternehmen müssen sich zuerst bei der deutschen Emissionshandelsstelle registrieren, um ein europäisches Emissionshandelskonto zu eröffnen. Das ist mit Aufwand verbunden. Sparkchange übernimmt das und lässt sich dafür bezahlen. Zudem ist das Versprechen, mit Klimaschutz auch noch Gewinne zu machen, natürlich sehr verlockend.
Gibt es eine Lücke im Emissionshandel, die geschlossen werden sollte?
Die Marktstabilitätsreserve ist sehr komplex. Derzeit laufen dazu Studien im Rahmen des Exzellenzclusters CLICCS an der Universität Hamburg. Sie zeigen: Selbst viele Klimapolitikerinnen und -politiker und andere Menschen, die sich beruflich mit dem EU Emissionshandel befassen, kennen die Wirkung der Markstabilitätsreserve nicht. Das ist ein Problem, auf das ich schon vor Jahren hingewiesen habe (PDF). Diese Komplexität führt unter anderem dazu, dass Geschäftsmodelle, die auf Luftschlössern beruhen, lange nicht auffliegen. Es ist sogar denkbar, dass man sich selbst ein solches Luftschloss baut, ohne es zu merken. Wir haben konkrete Vorschläge erarbeitet, wie man den Emissionshandel einfacher und wirkungsvoller ausgestalten könnte.
Zum Autoren
Prof. Dr. Grischa Perino ist Experte für den EU-Emissionshandel. Er hat die EU Kommission, die Bundesregierung und die am Umweltbundesamt angesiedelte Deutsche Emissionshandelsstelle zur Wirkung der Marktstabilitätsreserve beraten. Seine wissenschaftlichen Arbeiten haben wesentlich zum Verständnis ihrer Wirkung beigetragen. Perino ist Direktor des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) und forscht im Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg.
Das Handelsblatt hat am 12. Mai 2023 über die Geschäftspraktik von Sparkchange berichtet (mit Bezahlschranke). Für den Artikel ist Prof. Grischa Perino als Experte für den europäischen Emissionshandel befragt worden. Im Podcast „Handelsblatt Today" erklärt er, ob man mit dem Kauf von Emissionsrechten Geld verdienen und gleichzeitig das Klima schützen kann (ab min 13:30).