and Society (CLICCS)
Wie die Klimaforschung Risiken kommunizieren – Schwächen und FortschritteSchwierigste Aufgabe ist, „nicht quantifizierbare“ Unsicherheiten zu vermitteln
19. Juni 2023, von Rutgers University, New Jersey, USA / CLICCS

Foto: D. Notz, CEN/University of Hamburg
Forschende haben lange damit gehadert, wie sich entscheidende Informationen über den Meeresspiegelanstieg am besten kommunizieren lassen. Sie werden aber besser darin, sie klar zu vermitteln. Das ist das Fazit einer internationalen Gruppe von Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, darunter ein führender Experte der Rutgers University. Dirk Notz von der Universität Hamburg war an der Studie beteiligt.
„Eine besondere Herausforderung bei der Kommunikation von Unsicherheiten liegt auch darin, dass wir die öffentliche Wahrnehmung von Spannbreiten der Vorhersagen mit berücksichtigen müssen,“ sagt Meereis-Experte Professor Dirk Notz, der im Exzellenzcluster für Klimaforschung an der Universität Hamburg arbeitet. „Dies gilt besonders, wenn wir als Maximalwert einen sehr starken Anstieg des zukünftigen Meeresspiegels kommunizieren, der ein sehr hohes Risiko beinhaltet, dessen Eintreffen aber sehr unwahrscheinlich ist. Dann müssen wir davon ausgehen, dass in der Presse nur diese eine, hohe Zahl zitiert wird, auch wenn das total irreführend ist.“
Diese Kommunikation zu verbessern ist laut Studie sehr wichtig, denn Lokalpolitikerinnen und -politiker beziehen Risikobewertungen von Klimaforschenden in ihre Maßnahmenplanung ein, um die Folgen eines steigenden Meeresspiegels zu vermindern.
Auswertung von Sprache und Grafiken
In ihrem Artikel in Nature Climate Change werten die Forschenden Sprache und Grafiken aus, die in den Weltklimaberichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen von 1990 bis 2021 verwendet wurden.
„Der zukünftige Anstieg des Meeresspiegels hängt von zahlreichen Prozessen ab“, sagt Robert Kopp, ein Leitautor der Studie und Professor am Lehrstuhl für Earth and Planetary Sciences an der Rutgers School of Arts and Sciences. „Die Herausforderung besteht darin, dass wir die Physik mancher Prozesse sehr gut verstehen – etwa, wie der Ozean Wärme aufnimmt und sich daraufhin ausdehnt. Daher können wir die Risiken messen und kommunizieren. Aber andere Prozesse, insbesondere die, die sich auf Eisschilder auswirken, sind mit Faktoren verbunden, die wir nur schlecht verstehen und schwer messen können. Sie können aber einen rapiden Anstieg des Meeresspiegels verursachen.“
Somit ist der zukünftige Meeresspiegelanstieg, statistisch betrachtet, durch zwei verschiedene Arten der Unsicherheit gekennzeichnet, so Kopp. Er ist Direktor des Megalopolitan Coastal Transformation Hubs, ein von der National Science Foundation finanzierter Verbund von 13 Institutionen, unter Leitung von Rutgers, und Co-Direktor des Rutgers Office of Climate Action.
„Es gibt die quantifizierbare Unsicherheit, die mit einem gewissen Grad des Vertrauens gemessen und dargestellt werden kann“, so Kopp. „Und dann gibt es die Mehrdeutigkeit, eine Art tiefer Unsicherheit, die sich quantitativ schlecht darstellen lässt.“
Laut der Analyse sind Aspekte des Meeresspiegelanstiegs mit einem quantifizierbaren Risikograd korrekt dargestellt worden – und Behörden wurden effektiv informiert.
Stark vereinfachte Prognosen
Ging es aber darum, schwer quantifizierbare Unsicherheiten bezogen auf den Meeresspiegelanstieg zu vermitteln, war der Sprachgebrauch in den Berichten oft unzulänglich. Der Grund: Entweder wurden Prognosen zu stark vereinfacht oder die Informationen auf verwirrende Art dargestellt. Dies kann dazu führen, dass in politischen Entscheidungen die Risiken unterschätzt werden, die mit möglichen Höchstständen des Meeresspiegels verbunden sind.
Mehrdeutigkeit entstehe in Situationen, in denen die gleichen Informationen sich auf verschiedene und äußerst unterschiedliche Weisen interpretieren lassen – oder sich gar nicht interpretieren lassen, sagt Kopp.
„Meeresspiegel-Projektionen, die nur wenige Jahrzehnte abdecken und auf Szenarien mit niedrigen Emissionen beruhen, weisen weniger Mehrdeutigkeit auf als längerfristige Prognosen, die auf Szenarien mit höheren Emissionen beruhen“, so Kopp.
Die Studie vergleicht den Sprachgebrauch für Mehrdeutigkeit in Bezug auf das Risiko eines Meeresspiegelanstiegs im späten 21. Jahrhundert in den IPCC-Berichten von 1990, 1995, 2001, 2007, 2013 und 2021 und in dem 2019 veröffentlichten Sonderbericht über die Ozeane und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima.
Im ersten Weltklimabericht (1990) bezeichnen die Autorinnen und Autoren einen rapiden Zusammenbruch des Westantarktischen Eisschildes infolge der Erderwärmung als „im nächsten Jahrhundert unwahrscheinlich“.
Klare Kommunikation ist wichtig
Im sechsten Weltklimabericht (2021) hingegen warnen die Forschenden, dass „ein früherer Zusammenbruch des marinen Schelfeises als erwartet, die abrupte, großflächige Instabilität der marinen Eisschilde sowie die Instabilität der marinen Eisklippen quer durch Antarktika“ noch vor 2100 einen beschleunigten Meeresspiegelanstieg verursachen könnte.
Dem Bericht zufolge sind die Prozesse durch „tiefe Unsicherheit“ gekennzeichnet. Ferner: „In einem Szenario mit niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit und hohen Auswirkungen könnten diese Prozesse, zusammen mit hohen Emissionen, zu einem zusätzlichen Meeresspiegelanstieg von einem Meter im Jahr 2100 führen.“
Komplexe Risikoszenarien der Öffentlichkeit effektiv zu vermitteln ist ein fortlaufender Prozess. Sollte der Ansatz, der im jüngsten Klimabericht (2021) verfolgt wurde, erfolgreich sein, werden in künftigen regionalen Auswertungen solche Risiken genauer widergespiegelt und somit nicht nur von Klima- und Sozialwissenschaften, sondern auch von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern berücksichtigt werden können.
Der Studie zufolge ist es wichtig, dass Forschende diese Aufgabe meistern. „Da Mehrdeutigkeit und der Grad von Mehrdeutigkeit in Meeresspiegel-Prognosen die Pläne der Politik beeinflussen können, müssen diese Aspekte klar und effektiv kommuniziert werden,“ sagt Kopp.
Kopp hat die Studie zusammen mit Jessica O’Reilly, Anthropologin an der Indiana University Bloomington mit Schwerpunkt IPCC, und Michael Oppenheimer, Klimaforscher an der Princeton University, der seit dem ersten Klimabericht mit dem IPCC arbeitet, geleitet.
Alle weiteren Autorinnen und Autoren waren am sechsten Klimabericht beteiligten. Sie forschen an der Brown University, der University in Buffalo, USA, sowie in China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, den Niederlanden und Singapur.
Mehr Informationen
Robert E. Kopp, Michael Oppenheimer, Jessica L. O’Reilly, Sybren S. Drijfhout, Tamsin L. Edwards, Baylor Fox-Kemper, Gregory G. Garner, Nicholas R. Golledge, Tim H. J. Hermans, Helene T. Hewitt, Benjamin P. Horton, Gerhard Krinner, Dirk Notz, Sophie Nowicki, Matthew D. Palmer, Aimée B. A. Slangen & Cunde Xia, Nature Climate Change (2023): Communicating future sea-level rise uncertainty and ambiguity to assessment users
Kontakt
Prof. Dr. Dirk Notz
Universität Hamburg
Cluster of Excellence “Climate, Climatic Change, and Society” (CLICCS)
Tel.: +49 40 42838-5337
E-Mail: dirk.notz@uni-hamburg.de