Hauptaussagen
Von den vielen möglichen Klimazukünften sind nicht alle plausibel. Ziel des zweiten Hamburg Climate Futures Outlook ist es, systematisch die Plausibilität einer Klimazukunft zu bewerten, in der die Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden, also die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst aber auf 1,5 Grad, im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Für die Bewertung plausibler Klimazukünfte kombinieren wir die Analysen komplexer gesellschaftlicher und physikalischer Dynamiken. Der CLICCS Plausibility Assessment Framework ist ein Bewertungsrahmen, der diese gesellschaftlichen und physikalischen Plausibilitätsbewertungen integriert. Konkret analysieren wir die Dynamiken von zehn dominanten gesellschaftlichen Treibern der Dekarbonisierung und von sechs ausgewählten physikalischen Prozessen von öffentlichem Interesse.
Unsere Hauptaussagen sind:
- Keiner der zehn gesellschaftlichen Treiber unterstützt eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050. Das bekräftigt das Ergebnis aus dem Outlook 2021. Sieben gesellschaftliche Treiber (Klimapolitik der Vereinten Nationen, transnationale Initiativen, klimabezogene Gesetzgebung, Klimaproteste und soziale Bewegungen, Rechtsprechung zum Klimawandel, Kapitalabzug aus fossilen Wirtschaftsbereichen [Divestment] und Wissensproduktion) unterstützen zwar eine Dekarbonisierung, sind jedoch nicht stark genug, um diese bis 2050 vollständig umzusetzen. Zwei gesellschaftliche Treiber (Unternehmensstrategien und Konsumverhalten) untergraben nach wie vor die Fortschritte in Richtung einer Dekarbonisierung, insbesondere einer vollständigen Dekarbonisierung. Ein Treiber (Medien) bleibt insofern ambivalent, als seine Dynamik unbeständig ist und er die Dekarbonisierung sowohl unterstützt als auch untergräbt.
- Die Dynamiken praktisch aller gesellschaftlichen Treiber der Dekarbonisierung werden durch die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen der COVID-19-Pandemie und des russischen Angriffs auf die Ukraine maßgeblich beeinflusst. Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur Linderung der sozioökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie haben die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gefestigt, sodass ein Wandel hin zu einer vollständigen Dekarbonisierung weniger plausibel ist als anfänglich angenommen. Bisher gibt es noch keine ausreichenden empirischen Belege dafür, ob der Angriff Russlands auf die Ukraine die weltweiten Bemühungen um eine Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und um eine schnellere Energiewende langfristig verstärken oder untergraben wird.
- Drei physikalische Prozesse (das Abschmelzen der polaren Eisschilde, der Rückgang des arktischen Meereises sowie Klimaveränderungen und Klimavariabilität auf regionaler Ebene) haben kaum Einfluss auf die globale Oberflächentemperatur und wirken sich somit nicht auf die Plausibilität des Einhaltens der Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens aus. Drei physikalische Prozesse (das Auftauen des Permafrosts, die Instabilität der atlantischen Umwälzpumpe [AMOC] und das Absterben des Amazonaswaldes) könnten die globale Oberflächentemperatur leicht beeinflussen und stehen damit den Temperaturzielen des Pariser Klimaabkommens leicht entgegen. Die durch die globale Erwärmung verursachten Veränderungen in den Dynamiken aller sechs physikalischen Prozesse haben weitreichende Auswirkungen, so zum Beispiel auf regionale Wasserkreisläufe, auf die Resilienz von Ökosystemen und die Lebensqualität von Menschen.
- Sollten die Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens nicht eingehalten werden, hat dies drei wesentliche Auswirkungen auf die physikalischen Prozesse: Erstens sind drastische oder abrupte Veränderungen für die polaren Eisschilde und das regionale Klima bis zum Jahr 2100 plausibel, nicht jedoch für das arktische Meereis oder die Atlantische Umwälzpumpe. Zweitens stellt das zukünftige Ausmaß der menschgemachten Entwaldung die Weichen dafür, ob ein großflächiges Absterben des Amazonaswaldes begünstigt oder beschränkt wird. Drittens ist unklar, wie sich der Kohlenstoff in den Permafrostböden verhält. Wir können daher nicht beurteilen, ob das Auftauen des Permafrosts bis zum Jahr 2100 zu drastischen Veränderungen führen wird. Ausschließen können wir jedoch, dass das Auftauen des Permafrosts zu einer galoppierenden Klima-Instabilität führen könnte.
- Es hängt wesentlich vom Zusammenspiel gesellschaftlicher und physikalischer Dynamiken ab, ob die Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens durch eine vollständige Dekarbonisierung eingehalten werden können – dies zeigt unsere kombinierte Bewertung der Plausibilität von gesellschaftlichen und physikalischen Prozessen. Die Bewertung der gesellschaftlichen Treiber zeigt, dass menschliches Handeln maßgeblichen Einfluss darauf hat, wie sich Klimazukünfte entwickeln. So werden verschiedene Bedingungen und Ressourcen für einen gesellschaftlichen Wandel hervorgehoben, die ein zukünftiges Klimaszenario plausibel werden lassen. Die Bewertung zeigt jedoch auch, dass menschliches Handeln stark von Ungerechtigkeit und sozialer Ungleichheit geprägt ist, die einer vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 im Wege stehen.
- Wir analysieren das Zusammenspiel von Klimaschutz und Klimaanpassung und entwickeln grundlegende Konzepte und Prinzipien für eine nachhaltige Anpassung, den Sustainable Adaptation Plausibility Framework. Dieser Bewertungsrahmen wird in den kommenden Ausgaben des Hamburg Climate Futures Outlook weiterentwickelt.
Aus unseren Ergebnissen schließen wir, dass eine vollständige weltweite Dekarbonisierung bis 2050 aufgrund der Dynamiken der gesellschaftlichen Treiber derzeit nicht plausibel ist. Die ausgewählten physikalischen Prozesse von öffentlichem Interesse beeinträchtigen das Einhalten der Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens, wenn überhaupt, nur moderat. Gleichzeitig können sie die physikalischen Rahmenbedingungen für die Gesellschaft erheblich verändern. Das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens ist nicht plausibel, die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf deutlich unter zwei Grad Celsius kann jedoch plausibel werden, sofern ehrgeizige Ziele in den Fokus rücken, eine konsequente Umsetzung erfolgt und Wissenslücken geschlossen werden.