and Society (CLICCS)
Die Klimadebatte mit Big Data analysieren
13. Juli 2020, von Stephanie Janssen
Foto: UHH/A.Oberg
Achim Oberg ist seit Juli Professor für Digitale Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Im Exzellenzcluster CLICCS wird er große Datenmengen mit Bezug zum Klimawandel analysieren. Was genau er aus „Big Data“ herauslesen wird, erzählt er im Interview.
Herr Oberg, Sie arbeiten mit großen und unübersichtlichen Datenmengen, die wir alle generieren und die täglich mehr werden. Wie bringen Sie da Ordnung hinein?
Für unser Projekt werden wir weltweit mehrere tausend Organisationen, die mit dem Thema Klimawandel zu tun haben, über viele Jahre beobachten. Dies sind Forschungsinstitute, der Weltklimarat der Vereinten Nationen, Ministerien und Parteien genauso wie Nicht-Regierungsorganisationen, Umweltgruppen oder kritische Blogs. Dafür werden wir einmal im Monat jeden einzelnen Webauftritt archivieren. Zusätzlich „crawlen“ wir durch die Webseiten und spüren so vorhandene Links – also Verknüpfungen – zwischen den Organisationen in unserem Pool auf.
Schauen Sie sich auch die Inhalte an?
Ja, mit Hilfe einer automatisierten Textanalyse spüren wir so genannte „Frames“ auf: In welchem Kontext wird der Klimawandel behandelt? Gilt er als „Falschmeldung“ und der Mensch hat keinen Anteil daran? Wird er als Bedrohung und Gefahr gesehen – oder eher als Motor für Innovationen beschrieben? Für jeden dieser Frames gibt es ein typisches Vokabular. Wir ermitteln also bestimmte Stichworte und analysieren deren Häufigkeit und Bezüge zueinander.
Was können Sie daraus ableiten?
Über die Verlinkungen erfassen wir zunächst die Beziehungen der Akteure und Akteurinnen untereinander. Wer verweist auf wen? Wo sind die Bezüge besonders häufig? So erhalten wir ein Netzwerk, das wir auch bildlich und dreidimensional darstellen können. Dabei zeigen sich typische Formen, zum Beispiel sternförmige Strukturen, die sich um ein Zentrum auffächern, oder Cluster von Akteuren, die eng miteinander verbunden sind.
Über die Wortanalyse ermitteln wir außerdem, welche Frames auf welcher Webseite benutzt werden. Wie häufig sind einzelne Worte in den unterschiedlichen Bereichen unserer Klimanetz-Struktur vertreten? Wie weit sind beispielsweise Gruppen, die den menschlichen Einfluss auf den Klimawandelt leugnen entfernt von Unternehmen, die nach technischen Lösungsansätzen suchen? Daraus können wir die so genannte soziale Distanz zwischen Organisationen ablesen und abschätzen wie sich neue Informationen über den Klimawandel in der Gesellschaft ausbreiten können.
Was ist das Ziel?
In Medien werden oft die Extreme der Klimadebatte dargestellt. Sie arbeiten eher mit Gegensätzen, pro und contra, gut und böse. Die Positionen verschiedener gesellschaftlicher Akteure sind aber ungleich differenzierter. Dadurch, dass wir monatlich den Ist-Zustand der Webseiten archivieren und vergleichen, sehen wir, in welche Richtung sich die internationale Debatte auch außerhalb der Medien bewegt. Wird der Diskurs sachlicher? Oder drehen sich auch sachliche Debatten jetzt vermehrt um Argumente der Klimaleugner? Uns interessiert die Dynamik: Diese neue Sicht auf die Struktur kann zeigen, wer auf wen Einfluss hat und wohin sich der Diskurs entwickelt.
Womit fangen Sie als erstes an Ihrem neuen Arbeitsplatz an?
Um die großen Datenmengen erheben und sozialwissenschaftlich auswerten zu können, bauen wir jetzt gemeinsam mit dem Rechenzentrum der Universität eine technische Infrastruktur auf. Was Hardware und Software betrifft, ist das kein Standard, sondern erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Informatik und Soziologie. Parallel zur Datensammlung starten wir in der Lehre mit Veranstaltungen zu Digital Social Science, um Studierenden schrittweise das Know-How zum Umgang mit diesen Daten zu vermitteln. Um dabei die in den Daten versteckten Strukturen und Dynamiken zu verstehen, sind soziologische Theorien zentral.
Der Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS verbindet Naturwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften, der Mix der Disziplinen ist erwünscht und erfolgreich. Doch manchmal sprechen die Fachgebiete ganz verschiedene Sprachen der Wissenschaft. Kennen Sie solche Übersetzungsprobleme?
Ich komme ja aus der Wirtschaftsinformatik, die Informatik und Betriebswirtschaftslehre kombiniert, und forsche seit langem in der Organisationssoziologie, die verschiedene theoretische Strömungen verknüpft. So war ich schon oft in Situationen, in denen das gleiche Wort in verschiedenen Disziplinen mit ganz anderen Bedeutungen benutzt wurde.
Kontakt
Prof. Dr. Achim Oberg
Universität Hamburg
Exzellenzcluster CLICCS
E-Mail: achim.oberg"AT"uni-hamburg.de