and Society (CLICCS)
Ist das 1,5 Grad Ziel noch plausibel?
19. Oktober 2021, von Stephanie Janssen

Foto: CLICCS/Universität Hamburg
Will die Welt den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, muss bis zum Jahr 2050 ein grundlegender Wandel in beinahe allen Bereichen des Lebens stattfinden – hin zu Netto-Null Emissionen weltweit. Viele Staaten und Organisationen haben sich ehrgeizige Ziele für eine solche CO2-Neutralität gesetzt, gleichzeitig haben sich rund um den Globus vor allem junge Menschen in Klimaprotesten und Schulstreiks für dieses Ziel stark gemacht. Doch reicht das aus? Ist es derzeit überhaupt plausibel, eine vollständige Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050 zu erreichen?
Mehr als 40 CLICCS Forscher:innen haben die Frage jetzt erstmals systematisch untersucht und die Ergebnisse im Hamburg Climate Futures Outlook veröffentlicht. Die kurze Antwort lautet: nein. Systematisch wurden zehn gesellschaftliche Schlüsselfaktoren analysiert, die für eine Drosselung der Emissionen relevant sind, so genannte Treiber. Dies sind zum Beispiel die Klimapolitik der Vereinten Nationen, Strategien von Unternehmen oder Gerichtsverfahren zum Klimawandel, aber auch Klimaproteste, Konsumverhalten und die journalistische Berichterstattung. Laut Studie fördert zurzeit keiner dieser Treiber eine Abkehr von fossilen Energien ausreichend, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Sechs von ihnen weisen in die Richtung einer teilweisen Dekarbonisierung. Zwei Treiber, unser Konsumverhalten und Unternehmensstrategien, bremsen jedoch die Dekarbonisierung.
Und welche Rolle spielen Techniken, die CO2 und andere Treibhausgase aktiv der Atmosphäre entziehen? Die Ana-lyse zeigt, dass die unterschiedlichen Methoden starke Auswirkungen haben können, wie zum Beispiel einen enor-men Bedarf an Fläche und Wasser. Ein großflächiger Einsatz ist deshalb derzeit nicht plausibel. Die Netto-Null wird hauptsächlich davon abhängen, wie stark die Menschheit ihre Emissionen drosseln kann.
Gesellschaften müssen ihr Verhalten grundlegend ändern
Verbunden mit neuen Erkenntnissen zur Klimasensitivität grenzt der Outlook auch die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 weiter ein. So ist es derzeit nicht plausibel, dass sich die Temperatur im Vergleich zu der Zeit vor der Industriali-sierung global um weniger als rund 1,7 Grad Celsius und um mehr als etwa 4,9 Grad erhöht. Obwohl eine vollständige Dekarboni-sierung derzeit nicht plausibel ist, ist dieses Szenario nicht unmöglich. Neue Ressourcen und Synergien entstehen zum Beispiel, wenn sich einzelne gesell-schaftliche Treiber gegenseitig aktivie-ren, so könnten etwa Klimaproteste und -regulierungen bei Unternehmen effektivere Strategien für den Klima-schutz bewirken. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie rasant und umfassend eine Gesellschaft ihr Verhalten ändern kann. Vorschriften, die tief in das Leben eingreifen, wurden von Regierungen im Eiltempo erlassen und von der Mehrzahl der Menschen akzeptiert und befolgt. Der Outlook macht deutlich, dass die tatsächliche Umwandlung hin zu einer klimaneutralen Welt mehr erfordert als viele sich vorstellen. Die Weichen für die Klimazukunft werden in Politik und vielen anderen Bereichen der Gesellschaft gestellt – jetzt kommt es darauf an, sie in Richtung Dekarbonisierung zu stellen.
CLICCS Quarterly
Der Artikel wurde im CLICCS Quarterly veröffentlicht, dem Newsmagazin des Exellenzclusters. Die ganze Ausgabe finden Sie -> hier.