and Society (CLICCS)
Politische Risiken gefährden die deutsche Klimawende
24. Juni 2024, von Franziska Neigenfind

Foto: CLICCS/UHH
Um die Erderwärmung zu begrenzen, soll Deutschland bis 2045 klimaneutral werden. Technisch und ökonomisch wäre dies machbar, politisch und gesellschaftlich aber droht die Transformation an Fahrt zu verlieren. Dies zeigt Prof. Stefan Aykut in einer neuen Studie. Mit seinem Team hat er vier Schlüsselfaktoren untersucht – gesellschaftliche Treiber, welche die Klimawende behindern, aber auch befördern können. Im ersten Band einer neuen Reihe hat das Team die Rolle der deutschen, europäischen und globalen Klimapolitik sowie von Klimaprotesten und Klimaklagen in den Blick genommen.
Deutschland reduzierte im vergangenen Jahr seine Treibhausgase deutlich, doch Ihre aktuelle Analyse zur deutschen Klimawende fällt ernüchternd aus.
Stefan Aykut: Es schien so, als ob wir erstmals auf einem guten Weg sind, die Klimaziele zu erreichen. Die Bundesrepublik produzierte gut zehn Prozent weniger Treibhausgase als 2022! Das liegt zum einen am Ausbau Erneuerbarer Energien. Gleichzeitig wurde weniger Energie aus fossilen Trägern erzeugt und bei Wirtschaft und Verbrauchern sank die Nachfrage nach Energie. Allerdings beruhen diese Entwicklungen teilweise auf krisenbedingten Effekten. Bislang erreichte Reduktionen sind aber vielfach nicht dauerhaft abgesichert. Klimaneutralität bis 2045 erscheint derzeit nicht plausibel..

Was bedeutet das genau?
Aykut: Unsere Studie zeigt, dass die politischen Maßnahmen noch nicht ausreichen, um die Klimawende langfristig umzusetzen. Wir sehen zudem, dass politische Risiken wachsen: Deutsche und europäische Schuldenregelungen und fiskalpolitische Entscheidungen schränken den Spielraum für klimafreundliche Investitionen ein. Die Fokussierung auf einen ausgeglichenen Haushalt ist aber problematisch in Zeiten, in denen eigentlich massive Investitionen notwendig sind, um die notwendige Transformation voranzubringen. Ein weiteres Problem zeigt sich in Deutschland und Europa im Bereich der Meinungs- und Willensbildung in Form erstarkender rechtspopulistischer Parteien, die Maßnahmen zum Klimaschutz insgesamt ablehnen. Die Ergebnisse der Europawahl bestätigen diesen Trend.
Das kann Spannungen und Konflikte in Politik und Gesellschaft verstärken ...
Aykut: Das sehen wir zum Beispiel beim Widerstand gegen das Heizungsgesetz im vergangenen Jahr oder den Abbau von Agrardiesel-Subventionen. Im Vordergrund stehen dann häufig Verteilungsfragen, die in eine Polarisierung münden können. Gleichzeitig werden zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume zunehmend eingeschränkt. Wenn Klimaprotest kriminalisiert wird, wenn Möglichkeiten zum Protest oder sogar die Pressefreiheit eingeengt werden, entstehen neue Hürden für die dringend nötige gesellschaftliche Unterstützung der Klimawende.
Wie ist es inzwischen um den gesellschaftlichen Rückhalt für den Klimaschutz bestellt und wie entwickelt sich die Klimabewegung?
Aykut: Die Klimabewegung ist vielfältiger geworden und kann auf breite gesellschaftliche Solidaritätsnetzwerke zurückgreifen. Eine Mehrheit der Deutschen unterstützt den Klimaschutz weiterhin grundsätzlich. Doch er steht nicht mehr ganz oben, und es sind Umsetzungskonflikte zu erwarten. Daher reicht die in Umfragen abgebildete passive Unterstützung für die Klimawende oft nicht,
um politische Entscheidungen zugunsten von Klimaschutz zu erwirken.
Wo sehen Sie Erfolge für den Klimaschutz?
Aykut: An den Gerichten sehen wir einen Trend hin zu einer klimarechtlich progressiven Rechtsprechung. So gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer Gruppe Schweizer Seniorinnen Recht, dass ungenügender Klimaschutz ihre Menschenrechte verletze. Doch auch Gerichte können die Klimawende nicht im Alleingang umsetzen. Hoffnung besteht daher vor allem auch in der Verknüpfung positiver Dynamiken in Politik, Zivilgesellschaft und Rechtsprechung, die einander verstärken und den Klimaschutz vorantreiben.
Der Artikel wurde im CLICCS Quarterly veröffentlicht, den Forschungsnews des Exzellenzclusters "Klima, Klimawandel und Gesellschaft".
Publikation
Stefan C. Aykut, Lukas Hüppauff, Lea Frerichs, Anna Fünfgeld, Yannick Walter, Flinn Aguirre, Aitana Mollyk, Lennart Ritterbach und Franziska Hildebrandt (2024). Klimawende Ausblick 2024. Gesellschaftliche Treiber der Transformation in Deutschland. Band 1. Klimapolitik, Klimabewegung und Klimaklagen. Universität Hamburg.
DOI: https://doi.org/10.25592/uhhfdm.14271
Mehr: uhh.de/wiso-klimawende