and Society (CLICCS)
Die Gesellschaft sitzt am Hebel1,5-Grad-Ziel nicht in Sicht. Was nun?
12. April 2023, von Stephanie Janssen

Foto: Mauro Mora / Unsplash
Der Hamburg Climate Futures Outlook 2023 analysiert zehn gesellschaftliche Schlüsselfaktoren, von Klimapolitik über Medien bis Konsumverhalten, und sechs physikalische Prozesse. Demnach ist nicht mehr plausibel, dass sich das 1,5-Grad-Klimaziel einhalten lässt. Was nun? Dr. Anna Pagnone und Dr. Andrés López Rivera haben die Studie mit herausgegeben.
Das 1,5-Grad-Ziel ist nicht mehr in Sicht, in Ihren Worten „nicht mehr plausibel“. Was ist der Unterschied zwischen möglich und plausibel?
Anna Pagnone: Viele Klimazukünfte sind möglich, aber nicht alle sind auch plausibel. Wir bewerten die Plausibilität systematisch danach, wie sich bestimmte gesellschaftliche Schlüsselfaktoren in der Vergangenheit weltweit entwickelt haben und aktuell entwickeln.
Wie genau haben Sie das gemacht?
Andrés López Rivera: Wir haben theoretische Modelle entwickelt, mit denen wir gesellschaftliche Treiber wie soziale Bewegungen oder Klimaklagen analysieren. Anhand dieser Modelle systematisieren wir dann die aktuell verfügbare empirische Evidenz. So bewerten wir die Plausibilität des gesellschaftlichen Wandels hin zu einer vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 – die Voraussetzung für das 1,5-Grad Ziel. Zurzeit ist jedoch kein einziger der Treiber stark genug.
Der rechtzeitige Abschied von fossilen Energien wird demnach durch Konsummuster und Unternehmensstrategien verhindert, während Treiber wie Protestbewegungen oder Klimagesetzgebungen derzeit zu schwach sind. Sollen wir nun auf das 2-Grad-Ziel zuhalten?
López Rivera: Nein! Wir sollten das 1,5- Grad-Ziel nicht verwerfen, sondern es wieder plausibel machen. Jede weitere Erwärmung, die wir verhindern, zählt.
Was muss dafür passieren?
Pagnone: Die Veränderungen müssen einerseits bottom-up passieren, jedes Individuum ist gefragt. Aber ganz klar auch top-down. Die Verantwortung kann nicht den einzelnen Menschen übertragen werden. Die Politik muss steuern, Unter[1]nehmen brauchen effiziente Richtlinien.
López Rivera: Übergreifend haben wir drei Lücken identifiziert. Wissenslücken müssen geschlossen werden, die Ambitionen deutlich erhöht und Maßnahmen konsequent umgesetzt werden.
Sie haben gleichzeitig einige viel diskutierte physikalische Prozesse analysiert, ob diese die Pariser Klimaziele gefährden könnten. Was kam heraus?
Pagnone: Alle analysierten Prozesse können drastische Auswirkungen haben. Betrachten wir allein die globale Temperatur, haben drei von ihnen darauf keinen Einfluss: das Schmelzen der Eisschilde, der Rückgang des Arktis-Eises und regionale Klimaveränderungen. Die Entwaldung im Amazonas und das Tauen des Permafrosts haben minimal Einfluss. Zum Vergleich: Die Emissionen aus beiden Prozessen bis 2050 würden in etwa dem entsprechen, was die Menschheit derzeit in zwei Jahren emittiert. Bei der Gesellschaft muss also angesetzt werden.
Wie wirkt sich die globale Ungleichheit aus, Stichwort Klimagerechtigkeit?
López Rivera: Der aktuelle Stillstand in der UN-Klimapolitik lässt sich darauf zurückführen. Industrienationen haben den Löwenanteil emittiert und sind gleichzeitig viel widerstandsfähiger gegenüber Klimaveränderungen als Schwellenländer. Dies lässt sich nicht annähernd mit den derzeit beschlossenen Mitteln der Geberländer finanziell ausgleichen.
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Aktuelle Studie: Hamburg Climate Futures Outlook 2023
CLICCS Quarterly
Der Artikel wurde im CLICCS Quarterly Magazin veröffentlicht, dem Newsmagazin des Exellenzclusters.