and Society (CLICCS)
Wenn Klimaschutz beschworen wird
14. Januar 2021, von Stephanie Janssen

Foto: UNFCCC
In den letzten Jahren hat sich der Charakter der Weltklimakonferenzen verändert. Waren die jährlichen Verhandlungsrunden früher durchweg bürokratisch geprägt, so dominiert heute eine Erzählung, ein so genanntes Narrativ, das auf positive Fortschritte beim Klimaschutz einschwört. CLICCS-Forscher Stefan Aykut nennt dies „Beschwörendes Regieren“, und erkennt darin Züge moderner Managementkultur. Hilft dies, die Klimaziele zu erreichen?
Seit 2015, dem Jahr der Pariser Klimakonferenz, läuft einiges anders. Im Pariser Übereinkommen, dem Anschlussvertag für das Kyoto-Protokoll, wurde auf bindende Regeln zum CO2-Ausstoß ganz verzichtet und erstmals nur ein Endziel festgelegt: Gemeinsam beschlossen die Staaten, die Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius, besser noch 1,5 Grad, zu begrenzen. Wie sie dies erreichen, bleibt ihnen überlassen. Die Staaten verpflichten sich nur, regelmäßig nationale Klimapläne vorzulegen und über ihre Umsetzung zu berichten.
Begleitet wurde die damalige Konferenz von einer Welle an Zustimmung. Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Medien und Organisationen bezeichneten die Weltklimakonferenz beinahe einhellig als Durchbruch. Die Einigung auf das Zwei-Grad-Ziel wurde positiv betont. Kritikpunkte gab es durchaus, wie zum Beispiele das Fehlen von konkreten Verpflichtungen Treibhausgase einzusparen oder die geringen Ausgleichszahlungen an Länder, die bisher wenig emittiert hatten. Diese drangen jedoch kaum ins kollektive Bewusstsein.
Positive Erzählung mindestens ebenso wichtig wie Ergebnis
Laut Prof. Dr. Stefan Aykut ist das kein Zufall. Aykut ist Soziologe im Exzellenzcluster CLICCS an der Universität Hamburg und untersucht Klimakonferenzen seit 2007. Er analysiert Themen, Verhandlungen und Abläufe und befragt Teilnehmende.
„Schon im Vorfeld der Pariser Konferenz war klar, dass die USA und China sich nicht auf juristisch bindende CO2-Ziele einlassen würden. Trotzdem sollte diese Konferenz auf keinen Fall scheitern – oder als gescheitert aufgefasst werden“, sagt Aykut. So wie die Kopenhagener Konferenz von 2009, die allgemein als misslungen in Erinnerung geblieben war. Weltweit löste dies Ernüchterung aus. So ließen zum Beispiel Unternehmen geplante Klimaschutzprogramme damals reihenweise fallen, da die Weltpolitik anscheinend nicht zum Klimaschutz bereit war.
Aykut legt dar, wie Thinktanks und Organisationen infolge dessen realisierten, dass eine positive Erzählung mindestens so wichtig ist wie das Ergebnis der Verhandlungen. Sie kann auf vielen Ebenen direkt Einfluss darauf nehmen, ob Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden oder eben nicht. Laut Aykut wurde daher im Vorfeld der Konferenz von 2015 die positive Dynamik von vielen verschiedenen Akteuren und Organisationen mitgetragen und verbreitet – „beschworen“ sozusagen.
Techniken der modernen Managementkultur haben auch Nachteile
„Über Motivation und positive Erzählungen eine Wirkung zu erzielen ist Teil der modernen Managementkultur. Das kann als sich selbst verstärkender Prozess wirken“, so der Soziologe. „Wenn jetzt vermehrt Regierungen und Organisationen diese Techniken anwenden, hat das aber auch Nachteile.“ Momentan würden immer mehr Unternehmen eigene Klimaziele verkünden, wie etwa bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Als Beispiel nennt Aykut das von den Vereinten Nationen initiierte “Race to zero“. Hier haben sich mehr als 1000 Unternehmen mit Kandidaten wie Amazon, Apple, Mercedes und Ikea auf ambitionierte Ziele festgelegt.
„Das klingt zunächst gut und hebt das Image. Doch 2050 ist noch weit“, sagt der Soziologe. „Wie unterscheiden wir zwischen Greenwashing und echtem Engagement? Was wirklich hinter der Formel „Nettonull-Emissionen“ steht, ist oft nicht transparent.“ Wenn Klimaschutz überall Thema ist, besteht die Gefahr, die Lage zu positiv einzuschätzen. Und Langfristziele können motivierend wirken, aber auch von den kurzfristig notwendigen Veränderungen ablenken. Doch die tiefen Einschnitte, die jetzt nötig sind, dürften nicht aufgeschoben werden. Erforderlich ist eine echte Transformation der Gesellschaften.
Fachartikel:
Aykut, S. C., Morena, E., Foyer, J. (2020): ‘Incantatory’ governance: global climate politics’ performative turn and its wider significance for global politics, International Politics, 1-22