Mysterium Völlii
Unbemerkt und nahezu geheimnisvoll hat sich über einen Zeitraum von 50 Jahren am Rande des Hamburger Hafens ein beeindruckender Wald entfaltet – der Vollhöfner Wald. In den 1970er Jahren wurden auf dem Flussbett der Alten Süderelbe Hafensediment auf einer Fläche von ca. 75 Hektar deponiert, um das Hafenareal auszuweiten. Doch die Spülfläche wurde nie genutzt und geriet in Vergessenheit, wodurch sich die Natur ungestört entfalten konnte. Vor einigen Jahren plante die Hamburg Port Authority dort Logistikhallen zu errichten. Die Existenz des Vollhöfner Waldes war damit ernsthaft bedroht. Dank langjähriger Proteste einer Bürgerinitiative soll der Vollhöfner Wald schließlich unter Naturschutz gestellt werden.
Die Künstlerin Nana Petzet schlug Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft, den Vollhöfner Wald als Projektgebiet vor. So entstand im Rahmen von „Portraits of Climate“ eine künstlerisch-wissenschaftliche Feldstudie. Gemeinsam erkundeten sie im Februar 2024 das teilweise schwer zugängliche Terrain und entwickelten die grundlegende Idee, die Selbstheilungskräfte der Natur am Beispiel des Vollhöfner Waldes zu veranschaulichen. Diese einst als Deponie für zum Teil stark schadstoffbelastete Sedimente genutzte Auenlandschaft hat sich in einen natürlichen Wald verwandelt – ein eindrucksvolles Beispiel für nicht-anthropogene Sukzession. Michael ist von dieser beeindruckenden „Zurückeroberung der Natur“ fasziniert. „Unter dem Titel ‚Mysterium Völlii‘ möchten wir diesen rücksichtslosen Akt der Umweltzerstörung rückblickend als Chance betrachten“, erklärt Nana.
„Ich denke, dass es eine echte Bereicherung sein kann, wenn man einen völlig neuen Weg einschlägt, den man vorher noch nie gegangen ist." – Prof. Dr. Michael Köhl
Während weitere Begehungen und mit der Hilfe von Andromeda v. Prondzinski, Ute Schmiedel und Janne Ludewig aus der Pflanzenkunde und von Mathias Spieckermann und Günter Miehlich aus der Bodenkunde, hat das Team weiter künstlerisch-wissenschaftlich geforscht. Vier Spülflächen mit verschiedenen Sedimenten wurden in den 1970er angelegt. Diese bringen unterschiedliche physikalische und chemische Eigenschaften des Bodens mit sich, die sich wiederum auf Flora, vorwiegend eine Weichholz-Aue mit Weiden, Pappeln und Birken, und Fauna auswirken. ‚Mysterium Völlii‘ erforscht Zusammenhänge zwischen Boden und natürlicher Sukzession und bietet die Möglichkeit, die einzigartigen und essenziellen Fähigkeiten von Böden zu bestaunen. Im künstlerischen Vorhaben wird die Sukzession auch als Kooperation zwischen Pflanzen und Tieren anhand von Präparaten der Universitätssammlungen sichtbar gemacht.
„Ich brauche sogar die Zusammenarbeit. Ich brauche die Daten und ich brauche auch das Know-how. Die Fragen will ich gemeinsam entwickeln.“ – Nana Petzet
Unbeabsichtigt hat das Amt für Strom und Hafenbau vor 50 Jahren ein bemerkenswertes Sukzessionsmodell geschaffen, das wertvolle Erkenntnisse über einen klimastabilen und zukunftsfähigen Wald liefern kann, wenn es systematisch erforscht wird. Das Mysterium liegt in der selbsttätigen Aneignung eines Territoriums durch Pflanzen – die Sukzession. Diese "Ausgleichsmaßnahme" erweist sich als Geschenk, das lediglich den Verzicht auf Nutzung erfordert.
VG Bild-Kunst, Bonn
Quellen
Poppendieck, Hans-Helmut/Schreier, Helmut: Baumland. Was Bäume erzählen, Hamburg 2020.
Gauss, Silvia: Joseph Beuys Gesamtkunstwerk Freie- und Hansestadt Hamburg 1983/84, Wangen/Allgäu 1995.
Umweltschutzgruppe Physik-Geowissenschaften: Wasser in Hamburg, Hamburg 1983.
Ahrens, Susanne: Sedimentaufbau sandiger Auftragsflächen im Hamburger Hafengebiet und seine Bedeutung für die Sickerwasserqualität, Diplomarbeit im Studiengang Geographie Uni Hamburg, 1991.
Ludewig, Janne: Natürliche Sukzession eines ehemaligen Spülfeldes des Hamburger Hafens seit mehr als 50 Jahren - Aufbau und Struktur des Vollhöfner Waldes, Bachelorarbeit im Studiengang Biologie Uni Hamburg, 2023.