Another Award
Carl Maria Kemper, Künstler, und Jan Wilkens, Politikwissenschaftler, tauschen sich über wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten, globale und regionale Extremwetterereignisse und deren Ursachen sowie über Klimagerechtigkeit aus. Treffen gab es auch zwischen Carl und den Forschenden Beate Ratter, Leonard Borchert und Elodie Duyck. Die künstlerische Ausarbeitung entwickelte sich auf Grundlage der Gespräche mit Jan.
Von Wissenschaft zu bildender Kunst – So entwickelte sich das Konzept entlang dreier Kernbereiche:
1. Hohe CO2-Emissionen aus der Industrie
In den Gesprächen zwischen Carl und Jan ging es u.a. um die vergangenen Klimakonferenzen, zuletzt die COP28 in Dubai, an denen Jan teilgenommen hatte. Inspiriert von seinen Eindrücken und von der Tatsache, dass Sultan Ahmed Al Jaber, CEO einer der größten Ölkonzerne der Welt, ADNOC, den Vorsitz der COP28 innehatte, richten Carl und Jan ihre Blicke auf die CO2 emissionsintensiven Industrien, die auf der COP28 stark vertreten waren. Dazu zählen zum Beispiel Vertreter:innen von Öl- und Gasunternehmen sowie der Zementindustrie. Ein Vertreter des Zementunternehmens Holcim wurde in Dubai mit grünen Awards dekoriert, obwohl die Zementindustrie weltweit für acht Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Solche Widersprüche wurden zu einem Ausgangspunkt zwischen Carl und Jan, u.a. in Bezug auf Extremwetterereignisse. Diese entstehen durch eine Kombination aus natürlicher Klimavariabilität und menschengemachten Klimawandel, wobei menschliche Eingriffe in natürliche Prozesse zu extremeren Ereignissen mit schwerwiegenden Folgen führen. Carl und Jan diskutierten die Verknüpfungen zwischen den emissionsintensiven Industrien, Klimawandel und die Frage von Verantwortlichkeiten.
„Ich habe mich immer gefragt, wie ein:e Künstler:in akademische Debatten in ein Kunstprojekt umsetzen würde. Jetzt denke ich mehr über die Schnittstelle oder Interaktion zwischen Wissenschaft und darüber hinaus nach, und über verschiedene kreative Möglichkeiten mit der Gesellschaft zu interagieren.“ – Dr. Jan Wilkens
2. Internationale Perspektive: indonesische Klimaklage gegen Holcim
Das Konzept der künstlerischen Arbeit entwickelt sich am Beispiel von Klimaklagen und dem Begriff Klimagerechtigkeit weiter. Im Jahr 2022 klagten vier Bewohner der indonesischen Insel Pari gegen den Zementriesen Holcim. Sie argumentierten, dass Klimawandelfolgen, wie der steigende Meeresspiegel, Überschwemmungen und zunehmende Stürme, ihre Lebensgrundlage bedrohen. Inspiriert wurden sie von der erfolgreichen Klage einer peruanischen Gruppe gegen den Energiekonzern RWE. Da Holcim eines der führenden Unternehmen der Zementindustrie ist, forderten die Kläger von Holcim Schadenersatz. Carls Fokus bei der künstlerischen Arbeit liegt nun spezifischer auf der Zementindustrie. Weitere Informationen über den Holcim-Verbund, dessen Rolle im Hinblick auf Greenwashing und über die Verantwortung der Zementindustrie aus klima- und umweltpolitischer Sicht erhielt Carl von Josefina Massaglia von der Deutschen Umwelthilfe (NGO).
„Der Raum dazwischen ist aufgeladen mit messbaren und greifbaren Wahrnehmungen.“ – Carl Maria Kemper
3. Regionale Perspektive: Hochwassers in Deutschland im Winter 2023/24
Carl befasst sich auch mit aktuellen Krisen vor Ort. Er reiste in eines der im Winter 2023/24 von Hochwasser am stärksten betroffenes Gebiet in Niedersachsen. Die Erzählungen von Betroffenen in der Stadt Einbeck waren eindrucksvoll. Carl kehrte nicht nur mit neuen Impulsen für seine Arbeit zurück, sondern auch mit Sandsäcken. Diese hatten während der Überschwemmung als Schutzmittel gedient und lagern nun hochgestapelt, nutzlos. Der Sandsack wird immer wieder als Mittel gewählt, um Fluten zu kontrollieren. Gleichzeitig lässt sich auf das Objekt Sandsack eine Kontinuität des Versagens und Verdrängens projizieren. Er ist der altbewährte Flicken. „Sichtbar wird ein jahrzehntelanges, systematisches unterpriorisieren von Prognosen und Warnungen mit Blick auf Prävention und Resilienz, welche die Wissenschaft und Aktivist:innen stetig an Politik und Industrie richteten“, stellt Carl fest. Der Sandsack steht für den Flicken, dessen Volumen sich innerhalb der Arbeit materialisiert. Der textile Abdruck prägt sich in die Form ein, um die Verbindung von Auswirkung und Ursache förmlich zu vermengen und zeigt, wie die Interessenssphären verwoben sind.